16) Auch das Vereinsleben besteht aus Höhen und Tiefen

Die siebziger Jahre hatten sich, wie wir oben gesehen haben, für den Musikverein gut angelassen. Ein guter Dirigent, ein guter Präsident, guter Nachwuchs und gute Musik. Wirklich ein Grund, um glücklich zu sein. Doch Glück und Glas, wie leicht bricht das! An der Generalversammlung 1976 hatte sich der Dirigent dem Verein für ein weiteres Jahr zur Verfügung gestellt und war mit gutem Resultat im Amte bestätigt worden. In diese Welt, die in bester Ordnung schien, schlug es darum wie ein Blitz ein, als nur einen Monat später, Ende April, die Demission des Dirigenten eintraf. Die Lage war nicht sehr gemütlich, denn im folgenden Frühsommer sollte der Musiktag des Zürcher Unterländer-Verbandes in Pfungen stattfinden, verbunden mit der Einweihung einer neuen Uniform. Die Suche nach einer neuen musikalischen Leitung, die unverzüglich aufgenommen wurde, konnte nach wenigen Wochen glücklicherweise abgeschlossen werden. In Meinrad Lagler aus Ossingen hatte man einen gut ausgewiesenen Kandidaten gefunden, und bereits Ende August leitete der neue Dirigent den ersten musikalischen Anlass. Die Lage war nun gerettet, und der Musikverein durfte sich erleichtert auf sein nahendes grosses Fest freuen. Das unerwartet hohe Sammelergebnis für die Neuuniformierung bei der Dorfbevölkerung von Fr. 26 000.- und die reibungslos ablaufenden Vorbereitungsarbeiten für das Fest waren gute Gründe sich zu freuen.

Ein unvergessliches Wochenende in bester, ja ausgelassene Stimmung durfte der Musikverein zwei Wochen vor Festbeginn erleben, als er einer Einladung des Sängerbundes Liederkranz Löchgau (nahe Stuttgart) folgte. Diese für den Verein einmalige Einladung kam dadurch zustande, dass sich der Männerchor Pfungen wenige Jahre zuvor mit dem Sängerbund aus Deutschland befreundet hatte und nun dorthin zu einem Fest eingeladen war. Als musikalische Begleitung sozusagen lud der Sängerbund kurzum auch den Musikverein ein und liess die Gäste aus der Schweiz schwäbische Gastfreundschaft und schwäbische Feststimmung erleben. Das tat gut vor den Anstrengungen des eigenen Festes!

An die Einladung nach Deutschland und das Musikfest mit Uniformenweihe vom 17.-19.6.1977 reihten sich zwei weitere Freudenereignisse. Der Musikverein war Gast an zwei Hochzeiten von Vereinskameraden. Mit dem ersten Hochzeitspaar schlossen zum erstenmal in der Geschichte des Vereines eine Bläserin und einen Bläser den Ehebund. Wer ahnte zu diesem Zeitpunkt, da man von Freudenereignis zu Freudenereignis hüpfte, dass sich über dem Verein langsam Wolken zusammenzogen? Die Gründe für die kommenden Ereignisse reichten zurück in die Zeit vor dem Dirigentenwechsel. Dirigent Staub hatte den Verein musikalisch erneuert. Lateinamerikanische Melodien und Rhythmen, Arrangements aus Musicals und andere moderne Unterhaltungsmusik waren ein grosser Bestandteil des Musikrepertoires geworden. Obwohl die neue Musik erhöhte Anforderungen an die Bläser stellte, war sie im Verein beliebt und sorgte beim Publikum für sicheren Erfolg. Nun stellte sich allmählich heraus, dass die musikalische Vorliebe des neuen Dirigenten anderswo lag. Die Folge davon ist leicht abzusehen, doch lassen wir die Stimme des damaligen Präsidenten Kurt Sauter sprechen. Aus dem Jahresbericht 1977 des Präsidenten: “Es ist nicht nur die Pflicht des Präsidenten Sitzungen und Versammlungen zu leiten, Briefe zu unterschreiben, an Ständchen den Jubilaren die Hände zu drücken, den Verein nach aussen zu vertreten, viele Freizeitstunden zu opfern, Kritik und Lorbeeren entgegenzunehmen u.a.m., sondern frühzeitig zu spüren, wenn eine Unzufriedenheit im Verein entsteht, dieser abzuhelfen und das Menschenmögliche für das Wohl des Vereins zu tun, auch wenn es für den Präsidenten unangenehm sein kann. Es hat keinen Sinn, den Kopf in den Sand zu stecken, und wenn es zu spät ist, die Schuld andern in die Schuhe zu schieben. ... Ich habe immer wieder versucht, die Unzufriedenen zu beruhigen und sie um Geduld gebeten. Doch nach langem Überlegen und teilweise schlaflosen Nächten habe ich mich entschlossen ....”

Es ist klar, ein Dirigentenwechsel war unausweichlich. Der umsichtige Präsident hatte vorgesorgt und damit eine Krise im Keime erstickt. Als das Demissionsschreiben des Dirigenten Ende Jahr eintraf, konnte Kurt Sauter seinen verblüfften Kameradinnen und Kameraden mitteilen, dass er H.R. Staub als Dirigent wieder hatte gewinnen können.

Auch wenn der Schreiber hier aufhört, der Wechsel von Höhen und Tiefen hat sich bis auf den heutigen Tag fortgesetzt, und der Musikverein hat es immer verstanden, die Höhen zu geniessen und die Tiefen zu überwinden.

17) Die dritte Uniform und die zweite Fahne

Nach über 20 Jahren hatte die blaue Uniform offensichtlich ausgedient. Im Laufe der Jahre, in denen sie ihren Dienst versah, waren ihr einige Strapazen zugemutet worden, und zudem präsentierte sich oftmals ein jämmerliches Bild, wenn junge Burschen von kaum 16 oder 17 Jahren mit Uniformen eingekleidet werden mussten, die einst für bestandene Männer geschneidert worden waren. Der Musikverein beschloss, die Einweihung der neuen Uniform mit dem Unterländer Musiktag vom 19.6.1977 zu verbinden. Die Organisation des grossen Festereignisses stand unter der Leitung von Vereinspräsident Kurt Sauter. Das Festpräsidium hatte der Verein wie schon beim Jubiläumsfest 1971 Alt-Gemeindepräsident Walter Bernhard übertragen. Auftakt für die Festveranstaltung bildete die Sammlung für die neue, dritte Uniform. Bevölkerung, Industrie und Gewerbe sowie die politische Gemeinde Pfungen bezeugten durch ihre grosszügigen Spenden einmal mehr ihre grosse Sympathie für den Musikverein. Ohne die finanziellen Reserven anzehren zu müssen, konnte die neue Uniform aus dem Sammelergebnis bezahlt werden. Am Freitagabend, den 17. Juni 1977, war es soweit. Im Festzelt zwischen Breiteackerstrasse und Breitewegli wurde das Einheitskleid und Symbol der Zusammengehörigkeit geweiht. Der Rahmen war sehr feierlich: Das volle Festzelt, die Gastvereine, die Worte des Festpräsidenten, die Musik und die im Scheinwerferlicht erstrahlende neue Uniform. Und man konnte es bis auf den hintersten Rängen erkennen. Die Gesichter der neu Eingekleideten leuchteten vor Stolz und Ergriffenheit. Der folgende Abend war der Unterhaltung gewidmet. Besonders der Komiker Alfredo, vielen bereits vom Fernsehen bekannt, löste beim Publikum Lachstürme aus. Am Sonntag wickelte sich in gewohntem Rahmen der Kreismusiktag ab: grosser Empfang mit Ehrendamen und Begrüssungstrunk, Defileé und Vorträgen der Mitgliedervereine. Die Eröffnung übernahm der Musikverein Pfungen am Morgen um 0845 Uhr mit seinem Spiel in neuer Uniform durch das Dorf.

Zehn Jahre später galt es wieder einen Weiheakt vorzunehmen. Diesmal war es Fahnentuch. An der Herbstversammlung des Musikvereines vom 4. Oktober 1985 hatte man entschieden, die arg zerrissenen Vereinsfahne von 1946 zu ersetzen. Am 5. September des übernächsten Jahres war es soweit. Die von der Firma Heimgartner, Wil (SG), angefertigte Fahne wurde im grossen Festzelt in Anwesenheit der Patensektion Eintracht Töss entrollt. Die drei Farben der Fahne Blau, Weiss und Rot sind einerseits die Farben der Trikolore und stehen für die drei Ideale, die auch unserem Verein teuer sind, andererseits sind es die Farben unserer Gemeinde, unseres Staates und unseres Bundes. Sie sollen bezeugen, dass sich unser Verein als wichtiges und treues Glied des Gemeinwesens versteht. Als Symbol für unsere Liebhaberei stehen zwei schlanke Posaunen, die ihren Jubel dem Gemeindwappen entgegenschmettern. Posaunen und Wappen liegen im Weiss oder Silber, welches das Fahnentuch von unten rechts nach oben links diagonal durchzieht, in der Mitte sich verengend. Es ist der Fluss, der unser heimatliches Tal durchzieht. Wie üblich hatte man die Fahnenweihe mit einem musikalischen Anlass verbunden. Es war der Zürcher Kantonalmusiktag 1987, Kreis Unterland. Zusammen mit der Fahnenweihe ging damit vom 4.-6. September ein dreitägiges Fest über das Dorf. Einmal mehr zeichnete Vereinspräsident Kurt Sauter für die Organisation verantwortlich, und in den Händen von Gemeinderat und Brigadier Peter Keller lag das Festpräsidium.

Es bleibt an dieser Stelle noch nachzutragen, dass die Dorfbevölkerung nicht nur bei Unterhaltung und Vergnügen zahlreich anwesend war. Mit dem Ergebnis der Fahnensammlung hatte sie wieder einmal mehr ihre Sympathie und Treue zum Verein bewiesen. Für die Fahne, deren Preis Fr. 7’500.- betrug, lagen Fr. 16’622.- im Spendentopf. Dazu gesellten sich noch Fr. 3’930.- anderer Gönner.

18) Der grösste Wettbewerb seit dem Bestehen des Vereins

Aus dem Jahresbericht 1986 des Präsidenten: Der eine oder andere hatte wohl schon den Wunsch eines Ranges in der ersten Hälfte der Rangliste im Hinterkopf. Mehr traute man sich nicht zu. Vielleicht war das gut so. Als die Bewertung für das Selbstwahlstück bekannt gegeben wurde, hörte man Jubelschreie und sah Freudentränen über Wangen rollen. Nach dem Vortragen des Aufgabenstückes wurde uns eine ähnliche Bewertung abgegeben. Uns wurde langsam klar, dass wir eine Spitzenleistung vollbracht hatten. Dies trug sich zu, als der Musikverein Pfungen am 8. Juni 1986 mit Dirigent H.R. Staub das Eidgenössische Musikfest in Winterthur besuchte. Der Musikverein hatte mit seinen Konzertstücken den 7. Rang seiner Kategorie (III) erreicht. Das war ein einzigartiges und berauschendes Ergebnis und war seit Bestehen des Vereines noch nie erreicht worden. Leistungswille, Kameradschaft und ein motivierender Dirigent hatten den Verein dahin geführt. Seit 1966 hatte der Musikverein kein Eidgenössisches Musikfest mehr besucht. Am 23. Kantonalen Musikfest 1974 in Adliswil hatte man im Rahmen der Erwartungen abgeschnitten. Das Selbstwahlstück "Krönungsmarsch" von Giacomo Meyerbeer brachte 114 von 150 möglichen Punkten, das Aufgabenstück "Arie" von Emil Ermatinger deren 128. Die Marschmusik wurden mit guten 53 von 60 Punkten honoriert. Als der Musikverein am Abend nach Hause kehrte, war ein Goldkranz an die Fahne geheftet. Vom Kantonalen Musikfest 1979 in Kloten war man hingegen etwas enttäuscht nach Hause heimgekehrt. Jetzt aber befand man sich auf einem Höhenflug und einige diskutierten bereits die Frage, ob nicht ein Kategorienwechsel in Betracht zu ziehen sei.

19) Ein fleissiger und tüchtger Verein

Dem Musikverein Pfungen ging es in den letzten Jahrzehnten gut. Auch heute geht es ihm gut, ja sehr gut. Personell und finanziell. Und auch die Musik, die er darbringt, weiss zu gefallen. Er gönnt sich auch alle zwei Jahre eine zwei- oder dreitägige Reise, die grösstenteils aus der Vereinskasse berappt wird. Er kann auch aus eigener Kraft laufend die ausgedienten Instrumente ersetzen. Solcher Erfolg kommt nicht von ungefähr! Es braucht nicht viele Worte, um die Ursachen darzulegen. In aller Bescheidenheit: Der Musikverein ist fleissig und tüchtig. Sein Fleiss und Engagement ist mit dem Veranstaltungskalender leicht zu belegen. Er weist jährlich bis gegen 70 Anlässe aus und die Musikproben sind im Durchschnitt zu über 80% besucht. Die Vereinsführung ist umsichtig und konsequent. Nachlässige werden auf ihre Pflicht hingewiesen. An Abendunterhaltungen werden die Gäste mit Personal aus den Reihen der Angehörigen und Bekannten bedient. Das verbessert das finanzielle Ergebnis. Bei Haussammlungen gehen die Bläser selber von Tür zu Tür. Alle! Es werden keine Einzahlungsscheine versandt. Da geht's entlang!

20) Die Schwierigkeiten lauern um die Ecke

Aber trotzdem! Die Schwierigkeiten lauern um die Ecke. Die Musikliebhaberei muss sich mit anderen Betätigungen und Interessen in die Freizeit der Bläser teilen. Die Anzahl Verpflichtungen nimmt zu. Die Anforderungen an Vereinsführung und Dirigent sind gestiegen. Äusserungen, Entschlüsse und Handlungen wollen gut überlegt sein. Die Mitglieder sind zwar loyal, aber sie sind auch kritisch. Und in fast allem steckt heute ein finanzielles Risiko. Es verwundert deshalb nicht, dass in vielen Vereinen Präsidial- und Direktionszeiten immer kürzer geworden sind. Nachdem das Präsidium 17 Jahre bei Ernst Amstutz und 10 Jahre bei Kurt Sauter verweilte, ging es 1981 für drei Jahre an Hans Burkhart über, wechselte hierauf bis 1988 wieder zu Kurt Sauter zurück, forderte bis zur Generalversammlung 1993 Können und Geschick von Thomas Götte und liegt seither bei Marcel Sauter. Nicht minder wechselvoll ist die Geschichte der Dirigenten. Nach der eineinhalbjährigen musikalischen Leitung durch Meinrad Lagler wechselte der Taktstock bis 1989 wieder zu H.R. Staub, musste in die Hand des Vizedirigenten und einer Aushilfe hüpfen, bis er bei Willy Rodel wieder in fester und energischer Hand lag. Hier blieb der Taktstock bis 1995. Seit dem Herbst des gleichen Jahres wird er von Geri Lienhard aus Teufen geführt. Es wäre übertrieben zu behaupten, dass bei keinem dieser personellen Wechsel die menschliche Harmonie gestört worden ist.